Wärmedämmverbundsysteme (WDV-Systeme) sind nicht nur unter Architekten und bei Fürsprechern einer hohen Baukultur sehr umstritten. Auch wenn es um Ressourceneffizienz geht, geraten diese seit Jahrzehnten zur energetischen Sanierung eingesetzten Bauprodukte immer wieder in die Kritik. Macht es wirklich Sinn, die Hauswände „mit Erdöl zu bekleben“, um ein bisschen Heizöl zu sparen? Diese Frage lässt sich klar mit ja beantworten.
Dämmt man ein Einfamilienhaus mit einer Grundfläche von 120 m² auf Passivhausniveau dann wird für die Herstellung des Dämmstoffes lediglich 40% des jährlichen Heizölbedarfs eines durchschnittlichen Eigenheims gleicher Größe verbraucht. Im Beispiel handelt es sich um expandiertes Polystyrol (EPS) mit einer Dicke von 25 cm. Dafür verringert sich der Heizkostenbedarf in den folgenden Jahren auf beinahe 10%. Dieser Mythos ist damit eindeutig widerlegt.
vgl. VDI ZRE Publikationen: Kurzanalyse Nr. 7 „Ressourceneffizienz der Dämmstoffe im Hochbau“, (Juni 2014), S. 8ff.
Doch was passiert mit WDV-Systemen am Ende ihrer Nutzungsdauer, also nach 40 Jahren oder bei einer früheren Fassadensanierung?
Bisher bleibt für die meisten Dämmstoffe die Entsorgung auf der Deponie, die thermische Verwertung und für einige nachwachsende Rohstoffe auch die Kompostierung. Die thermische Verwertung kommt zumindest der Energiebilanz zugute. Ein hochwertiges Recycling, das zur erneuten Nutzung als Baustoff führt ist momentan nicht üblich. Bei WDV-Systemen kommt erschwerend hinzu, dass es sich um ein Kompositmaterial handelt, welches aus Dämmstoff, Armierung und einer Oberputzschicht besteht. Die WDVS-Platten werden dann fest mit dem Mauerwerk verdübelt und verklebt. Nach dem Abriss verbleibt ein schwer zu trennender Abfallmix.
Zwischen 1960 bis 2012 wurden bundesweit insgesamt 900.000.000 m² WVDS verbaut. Etwa 720.000.000 m² davon entfallen auf EPS-Systeme (EPS – extrudiertes Polystyrol). In Abhängigkeit von der Stärke der Dämmstoffschicht ergibt sich daraus eine Gesamtmasse zwischen 646 und 1570 Kilotonnen (kt) verbauten EPS. Hinzu kommen weitere verbaute WDVS-Komponenten wie Kleber (2.822,4 kt), Armierungsmörtel (2.880 kt), Armierungsgewebe (130 kt) und Oberputz (2.160 kt). Befestigungsmittel wie die rund 2.6 Milliarden Dübel schlagen mit 46,9 kt Metall von und 6,7 kt Kunststoff zu Buche. Das ist das anthropogene Stofflager, welches in 50 Jahren Wärmedämmung entstanden ist. Tatsächlich im Abfall landen jedoch jährlich nur ca. 42 kt EPS aus dem Baubereich. Dies ist weniger als ein Prozent des jährlichen Kunststoffabfalls.
Tendenziell wird diese Menge wohl größer werden. Viele ältere WDV-Systeme werden inzwischen rückgebaut, entweder mit dem gesamten Gebäude, das ggf. nicht mehr zeitgemäß ist oder auch nur um die Dämmung an aktuelle Erfordernisse anzupassen. Was passiert dann mit dem Abfall?
Die vier Stufen des Baustoffrecyclings zeigen die grundsätzlichen Möglichkeiten auf.
- Stufe: Abfälle vermeiden und Nutzungsdauer erhöhen!
Bei alten WDV-Systemen wird empfohlen, auf die Demontage zu verzichten. Es besteht die Möglichkeit, älteren Wärmeschutz durch „Aufdopplung“ zu verbessern. Auf diesem Weg kann die Nutzungsdauer von 40 auf bis zu 120 Jahre ausgedehnt werden. Stufe 1 ist die ressourcenschonendste Variante - Stufe: Die werkstoffliche Verwertung („echtes Recycling)!
EPS aus gebrauchten WDV-Systemen kann prinzipiell zu EPS-Recyclingplatten mit bis zu 100% Recyclinganteil verarbeitet werden. Diese Platten z.B. können als Fußbodendämmung oder Drainageplatten für die Perimeterdämmung eingesetzt werden. Wichtig ist es jedoch auch, das Alt EPS von den anderen Bestandteilen des Bauschutts und des WDV-Systems zu trennen, also selektiver Rückbau!
Viele alte WDV-Systeme aus EPS enthalten jedoch zusätzlich ein Flammschutzmittel (HBCD). Dies hat eine hohe Einstufung als Gefahrstoff. Deshalb können bisher nur EPS-Abfälle recycelt werden, die kein HBCD enthalten. - Stufe: Die rohstoffliche Verwertung („Downcycling“)
Es gibt bisher ein chemisches Verfahren, um HBCD vom Polystyrol zu trennen. Dazu muss das EPS aufgelöst werden. HBCD wird extrahiert. In einem zweiten Schritt wird in dem Verfahren auch Brom rückgewonnen. Am Ende erhält man reines Polystyrol, das erneut zu EPS verarbeitet werden könnte. Das Verfahren ist jedoch kommerziell nicht nutzbar. - Stufe: Die energetische Verwertung (Müllverbrennung)
Der größte Teil der EPS-Verwertung erfolgt durch Rückgewinnung der im Material gebundenen Energie. Bis zu 2 % EPS können dem normalen Restmüll beigemischt werden, ohne dass der Verbrennungsprozess beeinträchtigt wird und die Schadstoffemissionen die Grenzwerte überschreiten.
Momentan ist die energetische Verwertung die gängigste Variante, und für die kommenden zehn bis 20 Jahre ist das auch eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Verwertungsmethode. Aber mit der Verknappung der Erdölvorräte und einer langfristig absehbaren Erhöhung des Abfallaufkommens sollte höherwertiges Recycling zunehmen. Dazu sind die Entwicklung rückbaufreundlicherer Befestigungssysteme und insgesamt bessere Techniken für den selektiven Rückbau essentiell.
vgl. Rückbau, Recycling und Verwertung von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS), Kurzfassung einer Studie im Rahmen der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ (Januar 2015)
Kletten statt Kleben! facade4zeroWaste - ein sortenrein trennbares und wiederverwertbares WVD-System
Ein innovatives WDV-System, das Ressourceneffizienz und Rückbarkeit garantiert, erhielt vor kurzem den Europäischen Recycling Preis 2015. Ein Team vom Institut für Architekturtechnologie der TU Graz hatte gemeinsam mit dem Wärmedämm-Spezialisten STO Pionierarbeit geleistet: Im Projekt „facade4zeroWaste“ entwickelten sie ein sortenrein trennbares und wiederverwertbares Fassadensystem als Weiterentwicklung des aktuell vorherrschenden WDV-Systems.
Kletten statt kleben: Das Fassadensystem facade4zeroWaste lässt sich einfach montieren und im Sinne der Nachhaltigkeit sortenrein trennen und wiederverwenden. Anstatt wie bisher üblich geklebt, werden die einzelnen Fassadenschichten des „facade4zeroWaste“-Systems unter der Verwendung von Klettflächen und eines eigens entwickelten Befestigungsdübels montiert. „Das bringt ökologisch gesehen zwei große Vorteile: Das System lässt sich zum einen sehr einfach montieren und auch wieder demontieren, sortenrein trennen und wiederverwerten. Wir benötigen keine Klebstoffe, produzieren weniger Müll und es fällt weniger Abwasser an“, schildert Roger Riewe. Die Klettflächen werden schon bei der Herstellung in die Trägerplatte integriert und lassen sich auch nach der Demontage wiederverwenden – entweder für dasselbe oder für ein anderes Gebäude. Auch „Aufdopplung“ ist einfach: Man kann man die Fassade nachträglich mit zusätzlicher Dämmung und Klett-Applikation versehen.
Das neuartige Fassadensystem punktet mit weiteren Vorteilen: Es basiert auf den Grundzügen vorherrschender Wärmedämmverbundsysteme, das heißt, Baufachkräfte sind nicht mit gänzlich neuen Montageabläufen und Materialien konfrontiert. Dämmstoffe können flexibel gewählt werden, die Fassade lässt sich zudem zügig verarbeiten und montieren, spart damit Lohnkosten und verkürzt Bauzeiten.
Nach vier Jahren Forschung, Entwicklung und Test hat das Team hinter „facades4zeroWaste“ insgesamt bereits vier Patente beim Europäischen Patentamt erfolgreich angemeldet und veröffentlicht. Derzeit läuft das Greenlight Verfahren zur Zertifizierung des Fassadensystems beim Österreichischen Institut für Bautechnik. Erst kürzlich wurde das System erstmals der Fachöffentlichkeit bei einer Tagung an der TU Graz präsentiert. Die Resonanz und das Feedback waren sehr positiv. Jetzt wollen die Forscher mit Hochdruck daran arbeiten, das System zur tatsächlichen Marktreife zu bringen.
Quelle: Pressemitteilung der TU Graz vom 12.05.2015


